Mängelexemplar


Was sind die grossen Fragen des Lebens – lässt sich dies nur rückwirkend oder auch gegenwärtig für zukünftige Vertrautheiten bestimmen?


Wer sein Leben mit Kraft und Zuversicht betrachtet und die vielfältigen Wahrheiten mit Ausgeglichenheit und Heiterkeit kontempliert, der konzentriert sich auf sein seelisches Erbe. Schmälern wir die dumpfe Abgrenzung der menschlichen Feigheit und sprengen wir die Tradition des Verdrängens – dies wendet eine ungesunde Entfernung zu gewachsenen Strukturen ab und lässt uns an den Mängeln unserer Persönlichkeit arbeiten. Distanz verhindert gerne den angstfreien Blick noch nicht erkannter Möglichkeiten und demontiert die Entfaltung gesunder Kompromisse. Bleiben wir aufrichtig und betrachten wir aufmerksam, damit die unsichtbaren Flüsse aus Ängsten und Sorgen uns nicht mitreißen. Nicht nur eine gute Sprachentwicklung ist entscheidend.


Wir leben in einer übersensibilisierten Zeit.


Verhältnisse zu optimieren und das geistige Vokabular auf eine neue Dimension zu heben, scheint ein überlebenswichtiges Training im Ranking der Vergleiche zu sein. Leben wir für den Status, bestimmt für die Augen der Anderen, oder bestimmt der Dialog im Austausch unserer menschlichen Möglichkeiten unseren Frieden? Blicke ich in meine Vergangenheit begegne ich gesundem Zweifel und kraftvollen Kontrasten, experimenteller Vielfalt aber auch falschen Überzeugungen. Tanzen meine Gedanken in die Zukunft, zeichnen sich neue Wege und interessante Möglichkeiten. Ich bin kein Meister der Moderne und die Komplexität der menschlichen Natur wird sich mir in ihrer gesamten Klaviatur immer verschlossen zeigen – aber ich erkenne ganz klar: unsere Vorurteile sind unser Verhängnis.


Verschieben sich die Zeiten oder ändern sich unsere Einstellungen?


Betrachtungen nach Herkunft, Glaube oder sexueller Orientierung sind für tatsächliche Werte unwichtig, und sollten nicht zwangsweise mit einem negativen Hintergrund besetzt werden. Ob wir scheitern oder siegen – beides prägt die humanitäre Entwicklung und hinterlässt Spuren in unserer Menschlichkeit. Heilvolle Erfahrungen, aber auch unverständliche Schicksalsschläge können jeden Blick auf Unbekanntes mit Misstrauen und Argwohn färben - dies verpasst jedem freien Gedanken einen Abstandshalter und erschwert erste Schritte einer kreativen Kommunikation. Zeigen wir uns zu skeptisch, stehlen wir das Lachen und berauben menschliche Nähe ihrer Lebendigkeit. Haben wir bestimmte Grenzen überschritten, verlieren wir unsere Integrität bis hin zum Menschsein. Wann immer uns die eigenen Unzulänglichkeiten im Spiegel der Anderen entgegenblicken, wird uns dies erschrecken – denn jeder Konflikt der zurückgehalten wird arbeitet auf lange Sicht gegen uns und unsere Interessen.


Ich bin ein Mängelexemplar – dies schenkt mir sehr viel Spielraum.

  

Lorenz Looke 2019 © Alle Rechte vorbehalten